Lilly Reich hat es vorgemacht: Für die Ausstellung «Die Mode der Dame“ in Berlin entwickelte Sie das «Café Samt & Seide», bei dem die Raumbildung nur mit Vorhängen erfolgt. Die kongeniale Partnerin von Mies van der Rohe hat dabei mit einfachsten Mitteln ein verblüffendes Raugefüge entwickelt und die gestalterischen Möglichkeiten von Textilien ausgelotet. Giulia Conti schreibt dazu: «Eine Architektur, die gleichzeitig auch eine Selbstverleugnung ist: Der Vorhang definiert Räume, um sie zu zerstören, enthüllt Szenen für den Beobachter und verbirgt sie dann im nächsten Moment. Sie ist vorübergehend in ihrer Haltbarkeit und dauerhaft in ihrer Zerbrechlichkeit: Sie ist reich an Kontrasten und akzeptiert die zeitgenössische Unsicherheit, die auch das Gebaute durchdringt, von dem Reich vielleicht unwissentlich eine vorausschauende Visionärin war.» (Übersetzt aus dem Italienischen, zitiert nach «Lilly Reich e l’essenza tessile del progetto» in «Il giornale delle Architettura«)
Mit den (wenigen) überlieferten Bilder dieser Ausstellung im Kopf machten wir uns an den Entwurf für die neue Geschäftsstelle des Schweizerischen Textilverbands «Swiss Textiles». Die Realitäten der heutigen Arbeitswelt mit Homeoffice, projektübergreifender Teamarbeit und neuen Methoden der Kollaboration machte eine Neugestaltung der Geschäftsstelle nötig. Die Einzelbüros mit ihren Metall-Glas-Trennwänden weichen einem flexibel adaptieren Grossraumbüro, das mit flexiblen Zonierungen und ohne persönliche Arbeitsplätze funktioniert. Diese Neuorganisation der Arbeitsplätze spart im Vergleich zum Bestand rund die Hälfte der verfügbaren Fläche ein, wodurch Zonen für Workshops, informelle Besprechungen und neue Formen der Kollaboration freiwerden.
Material wollten wir möglichst sparsam einsetzen. Die architektonische Grundlage entstand durch «wegnehmen»: Abgehängte Decken, Wände, Verkleidungen, Hohlböden, Kabelkanäle. Was aber noch gebraucht werden kann, wird behalten und in die neue Gestaltung integriert – etwa in der Korridorzone die bestehende, abgehängte Decke mit den eingebauten Leuchten – sie stellt die nach wie vor benötigte Grundbeleuchtung sicher.
Der auf seinen Kern zurückgeführte Raum mit der dem Rohbau eigenen Ästhetik wird zur Bühne für eine Raumausstattung aus Textilien. Mit äusserst wenig Material und einfachsten Lösungen wird Gestaltung, Funktion und Bauphysik gelöst. Der Teppichboden etwa absorbiert nicht nur Schall, sondern macht auch eine Trittschalldämmung unnötig – entsteht doch kaum Trittschall. Die verwendeten Vorhänge sind nicht nur Raumteiler und Stimmungsgeneratoren, sondern auch schallabsorbierend und teilweise akustisch trennend. So kann auf abgehängte Decken und andere Akustikmassnahmen verzichtet werden. Die nun sichtbare Betondecke aus den 1940er Jahren ist nicht nur schön, sondern auch wertvolle Speichermasse. Die Verkabelung erfolgt folglich «aufputz» und erübrigt so auch einen neuen Unterlagsboden, die Erschliessung der Arbeitsplätze mit Strom und Medien erfolgt nun von oben. Für digitale Meetings werden temporäre «Telefonkabinen» geschaffen: Vorhänge mit Kautschuk-Zwischenlage erreichen ein Schalldämmmass, das digitale Meetings und Telefonate ermöglichen, ohne das Grossraumbüro zu beeinträchtigen.
Es entsteht ein äusserst flexibles, räumliches System, das täglich angepasst und bei Bedarf mit einfachsten Massnahmen baulich verändert werden kann. Das Textildesign von Lela Scherrer mit seinen Verläufen, Farben, Mustern und Transparenzen führt dabei zu einer sich stetig wandelnden Komposition im Raum. Einfachheit und sparsamer Umgang mit Material sowie Flexibilität und Adaptierbarkeit stellen also keinen Widerspruch zu einer hochspezifischen und funktionalen Gestaltung dar.
Das kürzlich fertiggestellte Projektes ist nun auf unserer Webseite dokumentiert. (Pläne folgen demnächst.)